In diesem Fall war es Franky, der beim wiederholten Anblick dieser jeweils schon ganz früh in der Morgensonne leuchtenden Ostwand Feuer gefangen hatte. Er war es, der Darshano und Anderl dazu animierte, diese noch nicht durchstiegene Wand in Angriff zu nehmen, und er war es, der in seinem Enthusiasmus just auch dann von der Reatwand zu schwärmen begann, als das Proponenten-Komitee der sich soeben formierenden Tuxer Kultur-Initiative „Schwindelfrei“ über mögliche Locations für das erste Foto-Shooting anlässlich der Vereinsbildung beriet. Und genau das hätte er nicht tun sollen, denn unter den Gründungsmitgliedern befand sich auch ein engagierten Jäger, der sich umgehend darüber beschwerte, dass die Reatwand das letzte Rückzugsgebiet der dort lebenden Gämsen sei, – und schon entbrannte der herrlichste Kletterer-Jäger-Disput…

In den darauffolgenden Wochen erblühte im Hintergrund ein sich in der gesamten Jägerschaft aufschaukelnder Konflikt, der schon fast landpossenartige Züge annahm und lediglich auf der irrigen Annahme der Weidmänner beruhte, dass diese drei Kletterer gewiss der Auftakt sind zu ganzen Heerscharen von weiteren Kletterern, Kletterinnen und Kletterkindern, die dann infolge eine katastrophale Unruhe für das Wild mit sich bringen werden.
Darshano sah, dass nicht nur die Jägerschaft von Alpträumen bezüglich eine glaublich über das Wild hereinbrechende Flut von Unruhestiftern geplagt war, sondern dass auch Franky unter dem schwelenden Konflikt litt und dass ihn dieser in seinem Eifer bei der startenden Kultur-Initiative bremste. Also suchte Darshano das Gespräch mit dem betreffenden Jäger und klärte diesen – stellvertretend für die gesamte betroffene Jägerschaft – darüber auf, dass die gehegten Befürchtungen betreffend zukünftiges „Mode-Klettergebiet“ mit der allfällig damit einhergehenden „Belebung des Gebietes“ und so weiter, aus folgenden Gründen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollkommen unbegründet sind:
1.) die Wand ist mitunter brüchig und konsumorientierten Sportkletterern somit zu archaisch
2.) die Seilschaft Darshano-Anderl-Franky wird bei der Erstbegehung in der Reatwand – wie auch sonst – keinen einzigen Bohrhaken setzen (was weder dem Plaisir-Gedanken noch dem Sicherheitsbedürfnis der modernen Sportkletterwelt entspricht) und wird die Route auch nicht wiederholerfreundlich präparieren (auch wenn sie das zuletzt in der Spiegelwand bei einem Dutzend Erstbegehungen mit Normalhaken getan hat), sodass keine Wiederholer in die Reatwand gelockt werden
3.) der steile Zustieg, der unwirtliche Wandfuß und die Tatsache, dass nirgendwo auch nur ein einziges ebenes Fleckchen unter der Wand zu finden ist, sind schon fast Garantie dafür, dass diese Wand auf absehbare Zeit keinen Sportkletterboom erleben wird.
Darüber hinaus stellte Darshano in Aussicht, dass die Reatwand im Gegenzug zu einer Beendigung der Stimmungsmache gegen diese Erstbegehung einerseits von den dreien nur im Frühjahr bis spätestens Ende Juni aufgesucht und andererseits auf eine Veröffentlichung der sodann vollendeten Erstbegehung im Zillertaler Sportkletter-Auswahl-Führer verzichtet wird.
Einigermaßen beruhigt bestätigte der besagte Jäger, dass diese Botschaft wohl zu einer Deeskalation bei der betroffenen Jägerschaft führen werde, und so kam es wie es kommen musste: die Route wurde fertig gestellt, mit allem was nötigt ist um die Neutour zu einer Expedition ins Land des Abenteuers werden zu lassen (weiter Quergangs-Sturz durch Anderl, – von klaffenden Wunden blutende Hände, – eingerissenes Kletterseil….), und der Name der Route erzählt auch gleich die ganze Geschichte rund um diese Erstbegehung, von der Kultur-Initiative bis zur Jägerschaft, vom Aufruhr bis zur Aufklärung, vom Morgensonnenglanz bis zur Unnahbarkeit der brüchig steilen Wand, – in einem einzigen Wort: „Schwindelfrei“!